"Ein Amerikaner in Paris" - vom Konzert zum Text über den Film

Gene Kelly im Kopfkino

Schon fast zwei Wochen her: Das Konzert des Jugendsinfonieorchesters Leipzig. Ich huschte vorbei, als das Orchester im Sonnenschein am Samstag in der Innenstadt probte - bei offenem Fenster. Das Konzert wird sich lohnen, so viel war klar.  Das "Ballet réaliste" hat mich zu Beginn der Vorstellung gleich überrascht: Pistolenschüsse, Glücksradklackern und Schreibmaschinen-Getippe - alles musikalisch verwurstet. Skandalös 1917!? Jedenfalls ließ mich "Ein Amerikaner in Paris" von Gershwin natürlich glücklich auf dem Stuhl im Kunstkraftwerk hoppeln. Absolut gigantisch! Ich bin und bleibe Gene Kelly-Fan, seit ich an diesen Film von 1951 herangeführt wurde. Und sehe ihn einfach zu Gershwin vor meinem inneren Auge tanzen. Für mich gab's eben erst den Film. Dann das Konzert. Und vor einigen Jahren, irgendwann dazwischen, entstand mein Text.



Gene Kelly ist ausgestorben

 

Ich wünsche euch süße Träume
– zwischen euch beiden die Wand aus Waschbeton


Es ist so, Großstadtmädchen:
Gene Kelly ist ausgestorben.
Niemand trägt dich auf Händen, also kauf dir Schuhe, die bequem sind.
Lerne den Tap Dance doch selbst

– besser ist das.
Trage zur Abwechslung mal einen Rock, und: Zügle dein Interesse am Mann!
Sprich keinen an, der dir gefällt

– das schüchtert bloß ein.
Achte aufs Timing und träum nicht zu viel.
Sei du selbst, doch lebe nur deine Schokoladenseite!
Suche nicht – finde!
Es ist an der Zeit, dass du's weißt, Großstadtmädchen.
Du bist nur manchmal die Beute
und die Metropole von heute glänzt nicht mehr
wie eine City von damals.
New York oder Bottrop – mach dir doch nichts vor!
Du musst es sein, die strahlt
also knips dein Lächeln an und spare nicht an Energie!
Funkle … und stürze manchmal ins Nichts, da ist nichts dabei.
Du kommst schon wieder hoch, nicht alle Städter sind Abschaum.
Deine Engelslocken braucht hier kein Mensch,
du musst sie nicht länger bleichen.
Blaue Augen genügen vollkommen um unterzugehen.
Du stellst dir Fragen, ich weiß.
„Was ist das für eine Stadt, in der man vor meinem Lachen erschrickt?“
Doch lass dir gesagt sein:
Dein Heim bist du selbst, niemand sonst.
Nachts solltest du deine Jalousien schließen, vergiss das nicht!
Denn das Wesentliche ist für die Augen nur sichtbar.
Oder möchtest du erspäht werden, ist es das, was du willst?
Dass ein Blick an dir haftet – so ganz ohne Haftung?


Achte auf dich, versprich es mir, und alles wird schon irgendwie gut gehen.
Metropolengirl, auf einer viel zu großen Matratze.
Am besten ist es wohl, du schlägst dich weiterhin einfach so durch.


Und du, Großstadtboy, dich möchte ich fragen:
Warum bist du nicht mehr Gene Kelly?
Wann ging dir die Eleganz verloren
und
Wohin flog dein Takt?
Im Regen fluchst du nur noch und ziehst die Schultern hoch.
Den Hut trägst du längst nicht mehr.
Durch stumpfe Stadtstraßen wird gehastet
Flanieren ein Fremdwort
Tanzen
sollst du doch gar nicht, da verstehst du mich falsch.
Doch dein Herz summt und in 80 Tagen bist du 3mal um die Welt.
Los, sag mir:
An welchem Tag dieses Jahres hast du einem Mädchen ein Lächeln geschenkt
und warum hast du es einfach aufgegeben?
Sicher, auch du darfst fehlen, nur versuchen kannst du es doch wenigstens.
So viel grau, das tut dir nicht gut.
Du findest schon einen Grund zu feiern, zieh nur nicht die Augenbraue hoch!
Der Spott steht dir nicht.
Du denkst nur, er macht dich interessant.


Auch Gutes gibt es, Großstadtboy, überlege nur,
du könntest sie heute noch treffen!
Sie wird es genießen, dass du sie erkennst.
Warte nur ab, irgendwann ist es soweit.
Irgendwann könnte es da sein, das Für-immer-Gefühl.
Es könnte passieren. Vielleicht.


Doch jetzt, jetzt wünsche ich euch süße Träume.
Zwischen euch beiden die Wand aus Waschbeton
so schlaft ihr gemeinsam allein
so schlaft ihr getrennt
so schlaft ihr ein.

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Kommentare: 2
  • #1

    BicycleFriend (Freitag, 14 April 2017 12:54)

    Schön geschrieben... allerdings bleibt in Zeiten der fast ständigen Bedrohung durch Terroranschläge - auch hier bei uns - kaum mehr Zeit und Raum für schöne Gefühle oder Träumereien. Und irgendwann hat man es auch satt, immer nur träumen zu dürfen, um doch wieder abgelehnt zu werden. Es war auch eine andere Zeit und Ausgangslage, als dieser o.g. Film entstanden ist (wenn auch kein denkender Mensch in dieser prüden Zeit damals leben hätte wollen). Ich bin leider inzwischen soweit, daß ich es mit der Haltung der Hauptfiguren in "True Detectives" fast komplett übereinstimme. Auch nachdem, was ich am Dienstag nachmittag erfahren habe. Und was die Liebe, wenn es überhaupt noch sowas gibt, betrifft: ab einem gewissen Alter bist du abgeschrieben. Dem Jugendwahn dieser Gesellschaft kann sich niemand entziehen, denn eine 2. freiere gerechtere Gesellschaft in der man leben könnte gibt es nicht.

  • #2

    Sari (Montag, 17 April 2017 19:58)

    Hallo BicycleFriend,
    ich freue mich, dass dir mein Text gefällt. Du sprichst in deinem Kommentar viele verschiedene Themen auf verschiedenen Ebenen an: allgemein und dann wieder sehr intim. Deshalb fällt mir eine Antwort darauf schwer, ich möchte es aber gern versuchen.
    Zur Gefahr durch Terroranschläge: Ich empfehle dir dazu statistische Erhebungen aus zuverlässigen Quellen zu lesen, die dir schnell zeigen werden, dass diese Gefahr absolut unnötig aufgebauscht und als Intsrument der Panikmache missbraucht wird. Unabhängig davon (und vermutlich gerade dann) gibt es immer Raum zum Träumen. Das ist wichtig, richtig und nötig. :) Die Haltung aus "True Detectives", von der du sprichst, kenne ich nicht. Und ja, rückblickend freue ich mich, dass Frauen inzwischen einen anderen Stellenwert haben, auch wenn weiterhin sozial viel zu tun bleibt. Aber wir machen das! Ich weiß auch, von welchem Jugendwahn du sprichst, aber du selbst bist durchaus in der Lage, dir eine Gesellschaft zu schaffen / einen Freundeskreis zu suchen, die oberflächliche Werte ebenfalls ablehnt oder zumindest auch kritisch sieht, oder? Kopf hoch, nur Mut und positiv denken. Jeder hat mal einen schlechten Tag. Inverstiere deine Kraft lieber in Ideen, wie du dir eine schönere Welt schaffen kannst. Viele Grüße!