Kunst, Urlaub und neue Texte

Documenta 14

Documenta 14. oben: Documenta-Halle / unten: Neue neue Galerie
Documenta 14. oben: Documenta-Halle / unten: Neue neue Galerie

Und schon wieder ist mehr als ein Monat seit dem letzten Eintrag vergangen. Viele schöne Dinge haben den sogenannten Sommer gefüllt: Unter anderem ein Besuch der Documenta 14 in Kassel mit meiner lieben Freundin, deren Kunstexpertise meine naive Freude an allem Verrückten hervorragend ergänzte. Noch bis zum 17. September gibt es hier Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt zu bestaunen. Schaut auch das an! Allein die Vielfalt der Materialien (Textilien, Ton, Stein, Glas, Stacheldraht ...) begeistert. Ideen und Gedanken dahinter bewegen. Eingebettet und verteilt in ganz Kassel waren zwei Tage Besuchszeit das Minimum. Am besten unter der Woche eine Tour einplanen. Fridericianum, Documente-Halle, Neue neue Galerie - es lohnt sich!

Entspannte Niederlande

links: Gracht in Utrecht. rechts: Sari traut sich aufs Rad.
links: Gracht in Utrecht. rechts: Sari traut sich aufs Rad.

Die letzten Tage habe ich einen Kurzurlaub in Utrecht eingelegt, um einen guten Freund zu besuchen. Ich habe mich nach Jahren mal wieder auf ein Fahrrad getraut. Ging gar nicht anders. Da musste ich durch. Und ja, ich war skeptisch und zittrig. Und doch, es hat Spaß gemacht: den Wind zu spüren, Spielzeugstraßen vorbeidüsen zu sehen und den ganzen Tag draußen zu sein. Ein Tag am Meer, liebe Gastfreundschaft, Geselligkeit und Mini Stroop Wafels machten mich mal wieder so richtig glücklich. Danke, lieber Freund.

Lesebühne zum Thema "Waschlappen"

Letzte Woche, um genau zu sein am 22. August, fand die Waschlappen-Ausgabe der Lesebühne Kunstloses Brot in Leipzig statt. Das Thema des Abends haben nicht wir, sondern wie gewöhnlich unser Publikum gewählt. Lest hier meinen Text Facebook will, dass ich schwanger werde sowie ein Gedicht (nicht zum Thema) mit dem Titel Denn eigentlich. Sehnsucht nach Frankreich, sage ich nur. Das Gedicht entstand vor meinem Urlaub. ;)

Diesmal mit dabei (v.l.n.r.): Nils Matzka, Jack Pop, ich, Bonny Lycen und Marsha Richarz.
Diesmal mit dabei (v.l.n.r.): Nils Matzka, Jack Pop, ich, Bonny Lycen und Marsha Richarz.

facebook will, dass ich schwanger werde

Alles begann mit einem Waschlappen. Ich schreibe diese Zeilen, weil meine Therapeutin meint, das sei gut für mich. Es sei gut, meine Gedanken zu ordnen. Die Gerichtsverhandlung ist für übermorgen angesetzt und alles, was mir jetzt angeblich hilft, ist, das Geschehene noch einmal zu ordnen. Um Reue zeigen zu können. Reue am Arsch. Drei Worte. Und drei weitere hab ich noch übrig: Ich bin unschuldig. Ich nehmen an, mit dieser Einstellung erwartet mich ein neuer Lebensabschnitt. Mit viel Ruhe. Und ab und zu mal Freigang. Vielleicht ist das ja gar nicht so verkehrt. ich könnte an einem Buch schreiben und die Welt einfach mal Welt sein lassen. Aber vermutlich stell ich mir das zu romantisch vor. Aber hey, immerhin tue ich Dr. Schinkel-Zaugg den Gefallen und versuche zum tausendsten Mal nachzuvollziehen, wie alles soweit kommen konnte. Tagebuch.

 

26. März

Einwegwaschlappen - der letzte Punkt auf meiner To Do-Liste vor der Bergtour. Ich selbst kenne die Dinger nicht, wurde mir aber empfohlen. Also gebe ich "Waschlappen” in die Google-Suche ein und werde direkt zu Amazon gelotst. Unendliche Ergebnisflut. Ich klicke und lese und kucke. Farben haben mich schon immer angesprochen, aber gleich ein Zehnerpack, weil bunt? Wohl kaum. Ich springe von Entchendruck über Frottee und Microfaser bis hin zu “Beliebte Geschenke”. Ernsthaft? Als ob.

 

28. März

Ich werde verfolgt von Waschlappen. Auf Nachrichtenportalen, bei Facebook, Instagram, auf dem Handy und meinem Laptop. Gut, dass ich kein Tablet habe, denke ich, als mir das nach Stunden wirklich bewusst wird. Subtilität sieht anders aus. Okay, okay, ich kauf ja schon. Die Rubrik “Beliebte Geschenke” kommt mir wieder in den Sinn - Tamara feiert doch nächste Woche ihre Babyparty. Ich suche, klicke und suche, lese Bewertungen und klicke…

 

15. April

Ich wusste gar nicht, dass die Welt der werdenden Mütter so voller Kostbarkeiten steckt: Babyschuhe, Babymützen, Schnullerkette, Höschen und Söckchen. Und alles so niedlich und natürlich selbst gemacht auf dawanda. Und dann auch noch mit Gutschein für Neukunden. Aber ich will natürlich nur das Schönste kaufen und klicke und kucke und quietsche … und kucke und lese Bewertungen …

4. Mai

In meinem Stadtviertel nur noch Schwangere und Kinderwägen. Ich sehe keine Hunde mehr, keine Assis mit Bierflaschen, die pöbeln. Nur noch Muttis. Und alle so glücklich. Vermutlich auch Dawanda-Gutscheine im Spiel. Alle Welt ist happy als Mutti und Vati und die Babys sowieso. Inzwischen erkenne ich jeden Testsieger auf der Straße und schnell komme ich ins Gespräch an der Bushaltestelle. Ich kann mitreden, egal ob Maxicosy, Babybjörn oder Cyprex. Von dem ich dringend abraten muss, da er schlichtweg von Schadstoffen nur so wimmelt. Kinderwägen, Stilleinlagen oder Brustpumpe: Ich weiß Bescheid.

 

25. Mai

Habe mit meinem Chef über interne Regelungen zum Mutterschutz diskutiert. Werde heute Abend ausgehen. Neues Kleid tragen, schick machen. Soll sich ja lohnen, kurz vor dem Eisprung. Kondome sind leider aus. Aber das stört Männer ja eher selten.

 

15. Juni

Inzwischen hat er sich ganz gut eingelebt in meiner Wohnung. Bereits an Tag zwei auch auf seinem Rechner nur Baby-Advertising. Wir gehören einfach zusammen.

 

25. Juni

Wir müssen wohl umziehen. Die Zimmer sind belegt mit Maxicosy, Babybjörn, den hippesten Dawanda-Blüschen, Höschen, Söckchen und Schnullerketten. Man weiß ja nie, nur für den Fall. Und dank Babywalz-Newsletter gibts wieder kräftig Rabatte. Und dennoch: Konto bedenklich leer.

 

15. Juli

Wohnung nun endgültig überfüllt. Weiterhin werden Produkte zum Kauf empfohlen, kein Ende in Sicht. Nur, was den Betrag auf dem Konto angeht. Aber wozu habe ich mir denn einen Bankberater angelacht? Der kann da sicher was tricksen. Mein Schatzi und ich, wir gehören einfach zusammen.

 

5. August

Konto im dreistelligen Minusbereich, bisher hat Schatzi also nur beim Dispolimit getrickst. Vielleicht geht es ja auch anders. Was wohl passiert, wenn ich so tue, als hätte ich die Lieferung nicht bekommen? Postverlust, kennt man ja. Kam schon öfter vor. Da lässt sich vielleicht was machen. Zusätzlich heute nach Google-Suche mehrere Anzeigen gefunden: "Schnell verdientes Geld von zuhause aus." Klingt doch vielversprechend! Unbedingt in Angriff nehmen.

 

15. August

Bisher hat es erstaunlich gut geklappt, die Sendungsnachweise zu manipulieren. Der Kontostand sieht wieder ganz gut aus. Tricksen mit Darlehen hat doch geklappt, auf Schatzi ist eben Verlass. Ich habe mal besser nicht weiter nachgefragt. Hauptsache Geld. So halte ich es auch mit meinem Nebenjob. SOOooo dubios ist der gar nicht und … ach na ja, eigentlich weiß ich ja von nichts. Kann ich doch nichts dafür, wenn alte Leute so leichtgläubig sind.

 

4. September

Inzwischen spüren wir beide die Tritte in meinem Bauch. Am Anfang hat es immer aufgehört, wenn er die Hand daran drückte. Wir freuen uns und sind vorbereitet. Dank Youtube und Vimeo kennen wir uns bestens aus. Etwa drei Stunden Geburten-Tutorials und How-To-Clips werden uns den Arzt ersparen. Irgendwann haben wir alles gesehen, irgendwann müssen die vorgeschlagenen Videos ja ein Ende nehmen. Gesponsert vom Geburtshaus um die Ecke und Babywalz.

 

12. November

Das Haus war eine gute Anschaffung. Ist doch wirklich unvorstellbar, wie viel Zeug so ein Baby braucht. Ich hab da vorhin noch was bei Facebook gesehen … schon Wahnsinn, wie die Welt immer weiß, was ich gerade noch brauche. Jetzt gibt es bald nur noch mich, ihn und es.


Denn eigentlich

Wenn der Asphalt kratzt und ich merke, dass ich ohne Schuhe auf dem Bahnsteig stehe. Wenn der Zug abfährt, mit meinen Schuhen darin, unterm Sitz, in eine Stadt, in der ich noch nie war, dann denke ich: Was soll’s.

 

Denn eigentlich bin ich Paul Valéry, der französische Dichter. Und ich liege auf einem Friedhof in Sète, Südfrankreich, auf einem Hügel hoch über dem Mittelmeer. Und schaue von dort herab. Nicht im übertragenen Sinne, nein, ganz wörtlich. Von dort schaue ich herab auf das Meer, das meist ruhig ist und ohne Wellen. Mein sonniger Cimetière Marins – Matrosenfriedhof.

 

Und wenn ich zwischen dem Riesenrad und dem Autoscooter sitze. Im schrillen Lärm und Stroboblinken. Zwischen Lichtblitzen, lärmenden Menschen und Dröhnen in meiner Zuckerwatte versinke. Wenn ich dann merke: Du kommst schon wieder nicht. Und ich weiß, dass ich eine weitere Stunde einfach hier sitzen werde. Unfähig etwas anderes zu tun. Dann denke ich irgendwann: Das hab ich nicht verdient.

 

Denn eigentlich bin Paul Valéry. Und ich liege auf einem Friedhof in Sète, auf einem Hügel hoch über dem Mittelmeer. In der Stadt, in der ich geboren wurde. Wo die Sonne scheint wie sonst nirgends. Wo alle Gräber weiß sind und freundlich und Medaillons mit eingelassenen Fotos dir sagen, wer einmal lebte. Wo wir Besucher willkommen heißen und die Stille geteilt wird. Da, wo keine Stimmen sind, und die einzigen Farbtupfer von Tonblumen auf Grabplatten stammen.

Hier muss ich sein. Hier muss ich aufs Meer blicken, denn es ist wie ich.

Cimetière Marin, Sète im März 2011
Cimetière Marin, Sète im März 2011

Und wenn ich müde bin und meinen Anforderungen nicht mehr genüge. Wenn ich nicht schön genug bin für die anderen oder nicht klug genug und mich klein fühle. Wenn ich einsam bin und dieses Gefühl in der Brust verspüre, dieses Gefühl zu fliehen vor den Schrecken der Welt. Dann atme ich tief ein und erinnere mich wieder. Dann sage ich zu mir: Sei nicht dumm. Du bist nicht einsam.

 

Denn eigentlich bin Paul Valéry. Und ich liege auf einem Friedhof in Sète, auf einem Hügel hoch über dem Mittelmeer. Ich war Präsident der Académie Française und Ritter der Ehrenlegion. Ich malte und man sagte mir nach, ich sei Philosoph.

 

Und ich schrieb ein Gedicht über diesen Ort, an dem ich nun liege. Und meine Worte waren wahr und klar und weise. Denn sie blickten in meine Zukunft und sind doch schon Vergangenheit, jetzt, wo ihr sie zum ersten Mal hört:

 

„Dies stille Dach, auf dem sich Tauben finden,

scheint Grab und Pinie schwingend zu verbinden.

Das Meer, das Meer, ein immer neues Schenken!

O die Belohnung, nach dem langen Denken

ein langes Hinschaun auf der Götter Ruhn! (...)"*

 

*Auszug aus Paul Valérys Gedicht "Le Cimetière marin" (1920) in der Übersetzung von Rainer Maria Rilke. Für
Mehr-Wissen-Woller empfehle ich Denis Bertholet: Paul Valéry. Die Biographie. Insel Verlag, Berlin 2011. 660 Seiten, 39,90 Euro

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Kommentare: 1
  • #1

    Jana (Sonntag, 31 Dezember 2017 12:16)

    Schön! Auch wenn ich den Dichter nicht kenne, macht es vielleicht manchmal Sinn sich genau so eine Situation zu denken :-)
    (Hat sich da ein Tippfehler im „Refrain“ eingeschlichen?)