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Wenn Leise mal laut wird

Folgendes Feedback zu einem meiner letzten Auftritte hat mich wirklich berührt:

 

"Hallo Sari,
ich durfte dir und den anderen gestern beim poetry slam zuhören - vielen Dank dir und euch, es war nicht nur sehr erheiternd sondern hat auch zum Nachdenken angeregt. Ich wollte insbesondere dir sagen, dass du meiner Meinung nach sehr wichtige und sehr aktuelle Themen angesprochen hast, auf eine angenehme und ehrliche Weise. Die Leisen, die nie richtig Gehör finden, aber deren Meinungen und Haltungen meist gut sind und Gutes bewirken würden, sind in der heutigen Zeit denke ich sehr wichtig für uns alle. Für mich warst du deshalb die Gewinnerin des Abends! Auf jeden Fall bewundere ich deinen Mut und will dir dafür Danke sagen, dass du in dieser Weise aktiv bist und gestern deine wertvollen Gedanken durch deine Texte mit uns geteilt hast. Mach weiter so! Die Welt braucht mehr Menschen, wie dich!"

 

Genau darum geht es doch: Menschen anzusprechen, zu berühren. Zumindest ist das mein Grund, mich auf eine Bühne zu stellen. Lieber Mensch, der du diese zauberhaften Worte an mich richtest: Hab Tausend Dank, ich schicke dir eine Umarmung. Und möchte dir gern im Gegenzug meinen Text "Wenn Leise mal laut wird", von dem du sprachst, zur Verfügung stellen. Zum Lesen und Nachhören. Ich behalte dich in meinem Herzen und denke an deine Worte, wenn ich mal wieder keinen Poetry Slam gewinne. ;) Who cares.


Wenn Leise mal laut wird - Audioversion


Wenn Leise mal laut wird

 

Ich red nicht gern.

Besonders nicht vor Leuten.

Das stimmt.

Und ihr so: Na toll, was will die dann hier?

Und ich so: Ich möcht euch gern was sagen.

 

Ich möcht euch zeigen, dass ich was zu sagen habe.

Und ihr das auch tun solltet.

Ich geb mir eine Stimme, die euch was erzählt.

Denn das mach ich gern.

 

Die Sache ist die: Ich bin kein Showmensch und doch such ich den Platz auf der Bühne.

Das ist für mich kein Widerspruch und ich finde: Auch ihr solltet hier stehn!

Ich plädiere für Redezeiten für Introvertierte.

Ich plädiere für schüchterne Rampensäue, Angstschweiß und Empathie.

 

Ich rufe die Stillen, mir zu folgen und allen zu zeigen, dass da was passiert.

Dass da was passiert in den Köpfen der Stummen, in den Hirnen der Mutlosen.

Dass da was raus muss aus den Herzen der Sensibelchen.

Ich wünsche mir, dass die Stillen sich trauen.

 

Wie, das sind die, die nicht wollen, sagt ihr?

Falsch gedacht, antworte ich und entsinne mich der Erfahrung.

Vielmehr ist's doch so, dass die Stotterer nerven, die Weibchen zu leis sind und die Scheuen zu doof.

 

Ich frag euch: Haben Nuschler keine Meinung?

Bullshit.

 

Wer leise ist, der wird überhört.

Wer erst überlegt, hat den Anschluss verpasst.

Und ich, ich hab keine Lust, dir ins Wort zu fallen, habe keine Lust, dich durch Dezibel zu schlagen und kann damit nicht punkten.

Kommt euch das bekannt vor?

 

Doch nach und nach hab ich meine Scheu überwunden,

steh jetzt hier vor euch auf dieser Bühne und weiß nicht mal, ob ich das gut mach.

 

Ich könnte jetzt auch meine Stimme erheben,

ja, ich könnte anfangen zu brüllen, weil ich etwas zu sagen habe!!

Ich könnte meine Fäuste in den Himmel recken oder euch mit Parolen beballern,

die ich mit pathetischen Gesten untermale.

Weil ich was zu sagen habe, könnte ich auch darauf achten, dass ich während meines Auftritts die Textblätter von mir schmeiße, ….

 

Blätter in hohem Bogen wegwerfen, Mikrofon aus dem Ständer nehmen, weiter mit freier Rede, sinngemäß:

 

... das Mikrofon aus dem Ständer befreie und um jeden Preis 100 % dieses Raums auf der Bühne für mich erobere, einfach, damit man versteht, dass ich etwas zu sagen habe!

Oder, ich könnte in meinen Text einen peinlichen Mitmachpart einbauen, der euch zwingt, das zu tun, was ich von euch möchte. Zum Beispiel so: Heeey .... hooooo! Und jetzt alle!!

Um euch zum Zuhören zu bringen, da könnte ich auch ...

(T-Shirt lasziv ein Stück weit nach oben ziehen)

 

... Aber lassen wir das.

All das könnte ich tun. Aber ich tu's nicht.

Ich bin's nicht. Und ich brauch meinen Zettel.

Und das ist auch nicht schlimm, sondern das bin eben ich.

 

Zurück zum Mikro gehen, wieder in den Ständer stecken, weiter vom neuen Zettel aus der Hosentasche lesen.

 

In meinen Träumen, da gründe ich einen Verein für die Stillen.

Ich nennen ihn „Auch Leise ist Laut“, kurz ALiL e. V.

Gut, für Vorschläge bin ich noch offen.

 

In meinem Verein, da kommen die Kleinen zu Wort.

Diejenigen, die euch zu leise sprechen, erlangen die Hoheit über die Lautsprecher dieser Welt: Supermarkt, Flughafen, Bahnhof.

Jeder darf mal alles.

 

Und hörst du uns nicht zu, dann steigst du in den falschen Zug, verpasst deinen Flieger und wirst bei ALDI eingeschlossen.

ICH HAB DOCH GESAGT, DASS WIR SCHLIESSEN!

Hm, Pech für dich.

 

Wir vom ALIL e. V. werden uns ins Fernsehen schmuggeln und sichern uns die Primetime.

In unserer Talkshow kommen alle zu Wort. Wir lassen uns ausreden und revolutionieren die Diskussion, weil wir uns zuhören, obwohl auch Frauen sprechen!

 

Bis es soweit ist, wünsche ich mir einfach, dass ihr auch mal die Stillen nach ihrer Meinung fragt. Gebt ihnen Pausen zum Überlegen und quatscht sie nicht an die Wand.

Ist doch schade um fast jede Meinung, die nie vertreten wird.

Ist doch schade um fast jede Idee, die im Keim erstickt.

 

Mir geht's doch nur um eines, das habt ihr mit mir gemein:

Ich will auch mal was sagen.

Wenn ich das Gefühl hab, etwas zu sagen zu haben.

 

Danke für's Zuhören.